Roza Rupa und die Fahrt in das Große Gebirge

Roza Rupa sprach recht gut Albanisch – genauer gesagt Gegisch, der Dialekt, der in den Nordalbanischen Alpen gesprochen wird -, wohl auch einigermaßen Italienisch, doch das kann ich nicht beurteilen, weil ich diese Sprache nicht beherrsche, und ein recht stümperhfates Englisch – damals!

Wegen dieser stümperhaften Englischkenntnisse und wegen ihrer damaligen Lebenssituation als Studentin der Tourismusfakultät der Universität in Shkoder war sie mir im Mai 2005 von der GIZ – damals noch GTZ – als Begleitung für eine Fahrt nach Theth, ins Herz der Albanischen Alpen, zugewiesen worden. Hier sollte ich auf Endeckungsreise gehen, die Natur und die Lebensbedingungen der Menschen im Malesi e Madhe, dem Großen Gebirge, kennen lernen.

Man hatte mir gesagt, Roza Rupa würde früh morgens um 6.00 Uhr am Rozafa Hotel in Shkoder auf mich warten.


„Sie wird dich erkennen!“ bekam ich als Antwort auf die Frage, wie ich die junge Frau erkennen sollte.Sechs Uhr morgens! Die Stimmung in der Stadt war erwartungsvoll, könnte man sage, so erwartungsvoll, wie ich selbst es war.
Die Sonne sah neugierig hinter der Mirdita, der Bergeegion im Osten des Landes, hervor, und sandte ihre ersten warmen Strahlen in mein Gesicht. Ich setzte mich auf die Mauer vor dem Rozafa-Hotel und wartete auf Roza Rupa.

Plötzlich klopfte mir jemand sanft auf die Schulter und – beinahe flüsternd stammelte Roza Rupa: „Good morning, Renata!“ Sie war klein und schlank, beinahe drahtig, hatte dunkelbraune, halblange Haare und musterte mich kritisch, jedoch durchaus nicht unfreundlich, aus ihren klugen dunklen Augen.

Roza ergriff mit einer Hand meine Reisetasche, mit der anderen fasste sie mich bei der Hand und führte mich über den Platz zu dem Furgon (kleiner VW-Bus), in dem schon einige Reisende warteten. Alle rückten breitwillig zusammen, um mir Platz zu machen und musterten mich mit freundlich neugierigem Gesichtsausdruck.

Roza erzählte mir mit ihrem stümperhaften Englisch irgendwelche Dinge, die ich nicht verstand. Auch die übrigen Reisenden bekundeten lebhaftes Interesse an meiner Person, fragten Roza dies und das, erhielten Antwort, die ich wieder nicht verstand und nickten mir wohlwollend lächelnd zu Sie redeten, redeten und redeten, lachten dann ab und zu schallend und ich verdammte meine geringen Sprachkenntnisse des Albanischen.

Roza Rupa versuchte, mir in einem Sprachsalat aus Gegisch, Italienisch und Englisch klar zu machen, dass man sich nicht über mich lustig machte, sondern dass dort ein Mitreisender wohl besonders den Schalk im Nacken zu haben schein und ständig Witze riss. Die allgemeine Fröhlichkeit wirkte ansteckend auf mich, nur jammerschade, dass ich die Witze nicht verstand. Ich lache sehr gern.

Inzwischen hatten wir Boga hinter uns gelassen, Die Straße – wenn dann überhaupt von einer solchen die Rede sein kann – stieg immer weiter und immer steiler an. Recht hohe Berge, links bedrohliche Abhänge, die natürlich keineswegs abgesichert waren. Niemand außer mir schien sich zu ängstigen, obwohl ab und zu Fotos von hier Verunglückten, die mit künstlichen Blumen geschmückt waren, an die auf dieser Strecke Dahingeschiedenen erinnerten.

Ich beobachtete das Gesicht das Fahrers im Rückspiegel – er fuhr unbekümmert lachend und immer an der Unterhaltung teilnehmend – durch die Haarnadelkurven. Nun ja, sagte ich mir, er wird das schon machen! Er will ja auch überleben!

Die Mitreisenden – alle Albaner und Albanerinnen – (wir waren mit dem Fahrer vierzehn Personen in einem VW-Minibus, der in Deutschland für neun Personen zugelassen ist!) hatten ebenfalls immer etwas zu lachen und unterhielten sich angeregt. Die Enge schaffte sehr viel menschliche Nähe! Da diese Nähe positive als auch negative Seiten haben kann, wurde mir regelrecht schlecht. Um den Brechreiz zu überwinden, der bei jeder schneidig genommenen Kurve in mir hochstieg, holte ich tief Luft und blickte ich nach draußen auf die wunderschöne Landschaft, die faszinierenden Berge mit ihren schroffen Formen. Ich kam mir klein und jämmerlich vor angesichts dieser wilden, ungezähmten Natur,

Als wir endlich den Terthores-Pass (ca. 1600 m hoch) überquert hatten – rechts am Straßenrand war noch eine riesige Schneelawine zu sehen, die aus irgendeinem Grund dort zum Stehen gelang wart – ging es zügig in atemberaubenden Tempo durch Buchen- und Eichenwälder ins Tal.

Die etwa 25 Kilometer von Boga nach Theth hatten fast fünf Stunden gedauert – ich sehnte mich nach kultivierter Bequemlichkeit und frischer Luft!

Im damals einzigen Gästehaus in Theth am Dorfeingang, bei Menhill Carku, wurden wir wie Ehrengäste empfangen. Die ganze Familie, eine sehr betagte alte Frau , die einen Arm in der Schlinge hatte, humpelte und deren Gesicht mit blauen Flecken übersät war, drei Kinder zwischen sechs und zwölf Jahren und eine jüngere Frau – offensichtlich die Tochter der älteren – begrüßten uns mit Umarmungen. Es musste erste einmal Raki getrunken werden. Ich wehrte mich vergeblich, und nach dem ersten folgte auch noch ein zweites Glas, und mir wurde richtig warm in der Kehle und ums Herz. Dieses Zeug hat eine umwerfende Wirkung! Dann ging es in den „Salon“. Hier stand ein langer Holztisch, der mit einer weißen Papierdecke gedeckt war, einige Stühle und zwei Bettgestelle. In der Mitte des Raumes war ein Kamin. Der Tisch war „plot me ushqim“ (voll mit Essen) – eines der wenigen Wörter, die mir in dieser vertrackten Sprache zur Verfügung standen.. Es roch vorzüglich nach frischem, selbstgebackenen Brot, gegrillten Ziegenfleisch und natürlich gab es Feta-Käse, der zu keiner albanischen Mahlzeit fehlen darf. Die ältere Frau bildete das Oberhaupt der Tafel und nötigte mich ständig zu essen.

Am Nachmittag ging ich – bzw. kraxelte ich – an der Hand von Roza Rupa, hinunter ins Tal bis zum Shala-Fluss, ein klarer Gebirgsbach, der sich seinen Weg über riesige Felsen und Geröll bahnt. Wacklige Holzstege verbinden den Hauptweg mit den dahinter liegenden kleinen Gehöften, mit der Katholischen Kirche und mit dem „Blutturm“, dem Wahrzeichen des Dorfes, ein Überrest aus der Zeit der Blutrache. Dahinter ragen steil, beinahe drohend die bis zu 2700 m hohen Berge in den Himmel, jede Bergkuppe andersartig wild und schroff geformt, Die untergehende Sonne tauchte einige Felsen in blutrote Zacken, die wie bittende oder anklagende Hände in den klaren Abendhimmel ragten.

Ich blieb ständig stehen, nicht nur, um mich von dem Auf und Ab des Kraxelns zu erholen, an das ich als Norddeutsche überhaupt nicht gewöhnt bin, sondern insbesondere, um diese beeindruckenden Ausblicke in meinem Innern und auch auf meiner Kamera zu speichern. Hinter jeder Wegbiegung neue Naturschauspiele!

Die Menschen, die hier leben und dem kargen Boden kleine Flächen zum Anbau von Kartoffeln und Gemüse abgerungen haben, haben eine überaus reiche Natur, die sie offenbar für ihr – nach unseren westeuropäischen Vorstellungen – armseliges Leben entschädigt. Dass sie dennoch viel lachen, Sinn für Humor haben, tapfer, großherzig und gastfreundlich sind, hat mich tief beeindruckt.

Am Abend versuchte ich, mit Roza Rupa eine Unterhaltung. Wir schliefen im selben Raum und es fiel mir schwer einzuschlafen. Die vielfältigen Eindrucke der Natur und der Menschen, die auf diesem Fleckchen Erde leben, passierten noch einmal Revue vor meinem geistigen Auge.

Ich fragte Roza Rupa, wobei sich die ältere Frau verletzt hatte.. „She was trying to find the goats that had been lost up in the mountains. She fell and couldn’t help herself to reach the village. We were looking for her for two days and finally her daughter and the villagers found her, carried her home and treated her with herbs.”

“Warum bleibt sie nicht im Bett?” fragte ich erstaunt. „Ist ein Arzt gekommen?“ „Nein, sie will nicht im Bett bleiben, sie macht sich Sorgen um die Familie, die Ziegen, die Schafe und die beiden Kühe. Der Arzt kommt nur ein- oder zweimal im Monat.“

„Die arme Frau!“ entschlüpfte es mir.

„Sie ist nicht arm,“ antwortete Roza fast zornig und Tränen rannen zu meiner Überraschung über ihr Gesicht..

Ich schämte mich, entschuldigte mich und schwieg betroffen.

Roza Rupa hat inzwischen ihr altes Haus in Theth mit Hilfe der GIZ und mit sehr viel Elan und Eigeninitiative zu einem Gästehaus umgebaut. Die zahlreichen Öko-Touristen, die im Sommer nach Theth kommen, haben ihr und einigen anderen Bewohnern des Dorfes ein bescheidenes Auskommen gesichert. Sie müssen nicht mehr nach Shkoder ziehen, um dort die Zahl der Arbeitslosen noch weiter zu erhöhen.

Anschrift: Camping & Guest House Rupa ALB 4099; geöffnet Mai bis September

Tel.: +355/(0)682 003 393, e-mail: rorupa@yahoo.com.

Renate Ndarurinze, im November 2012

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